Über die Bedeu­tung intrin­si­scher Moti­va­tion, den Genuss der Unsi­cher­heit und die Schön­heit feh­len­der Quantifizierbarkeit.

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Nach kon­ven­tio­nel­ler öko­no­mi­scher Auf­fas­sung soll­ten Sie prü­fen, ob es wirk­lich sinn­voll ist, den Rest die­ses Edi­to­ri­als zu lesen. Da der eigent­li­che Nutz­wert des News­let­ters in den nach­fol­gend gesam­mel­ten Punk­ten liegt, ist das Edi­to­rial nur eine Zierde, eine Art Zere­mo­ni­al­übung, die sich nur schwer ein­ord­nen lässt (Anmer­kung der Redak­tion: Die gesam­mel­ten Punkte fin­den Sie hier). Außer­dem kennt das Edi­to­rial keine Über­schrift und man weiß ein­fach nicht, was kom­men wird. Meine Aus­füh­run­gen kön­nen Sie unter­hal­ten oder lang­wei­len, sie kön­nen Sie inspi­rie­ren oder wütend machen, sie kön­nen Sie moti­vie­ren, sich mit einem Thema zu beschäf­ti­gen, oder Ihr Selbst­ver­trauen stär­ken, ein ande­res zu igno­rie­ren. Die Ent­schei­dung, ein Edi­to­rial zu lesen oder nicht zu lesen, mag wie eine sehr kleine und ein­fa­che Ent­schei­dung erschei­nen, aber in Wirk­lich­keit ist sie vol­ler Even­tua­li­tä­ten. Sie ist zwar viel weni­ger rele­vant als „die Aus­sicht auf einen euro­päi­schen Krieg“, aber im Grunde ist sie in ähn­li­cher Weise unsi­cher. Erleich­te­rung in Form von Gewiss­heit über den Inhalt kommt erst nach der Lek­türe, aber dann ist der Preis in Form von inves­tier­ter Zeit bereits bezahlt.

Hete­ro­dox Eco­no­mics Newsletter

Der Hete­ro­dox Eco­no­mics News­let­ter wird her­aus­ge­ge­ben von Jakob Kapel­ler und erscheint im drei­wö­chent­li­chen Rhyth­mus mit Neu­ig­kei­ten aus der wis­sen­schaft­li­chen Com­mu­nity mul­ti­pa­ra­dig­ma­ti­scher öko­no­mi­scher Ansätze. Der News­let­ter rich­tet sich an einen Kreis von mehr als 7.000 Empfänger*innen und zählt schon weit mehr als 250 Ausgaben.

In ähn­li­cher Weise könnte man sich fra­gen, ob es wirk­lich ratio­nal ist, die­ses Edi­to­rial zu schrei­ben. Ich gebe zu: Bis heute habe ich mir diese Frage noch nie gestellt, was mich in den Augen vie­ler Mainstream-Kolleg*innen wahr­schein­lich etwas lang­wei­lig erschei­nen lässt. ;-)

Aber wenn ich die Frage einen Moment lang ernst nehme, stelle ich fest, dass mir keine gute Recht­fer­ti­gung im Sinne des Net­to­nut­zens ein­fällt. Zwar erhalte ich gele­gent­lich freund­li­che Reak­tio­nen in Form von inter­es­san­ten Kom­men­ta­ren und loben­den Wor­ten, aber die Zahl der Reak­tio­nen ist viel zu gering, um auf den Anteil der Leser*innen, die die­ses Edi­to­rial lesen, schlie­ßen zu kön­nen. Aus quan­ti­ta­ti­ver Sicht weiß ich auch nicht, wie hoch der Anteil der Abonnent*innen ist, die sich von dem Edi­to­rial ange­zo­gen füh­len, oder wie hoch der Anteil der Leser*innen ist, die ihn tat­säch­lich gerne lesen. Es ist etwas bru­tal, denn im Ver­gleich zum/zur Leser*in sind die Kos­ten für den/die Autor*in höher, sein/ihr Ein­satz ist grö­ßer und die Unge­wiss­heit über den Nut­zen des Ergeb­nis­ses schwin­det nie. Iro­ni­scher­weise könnte die Leis­tung theo­re­tisch gemes­sen wer­den, ist aber in Wirk­lich­keit unsicht­bar, weil es an Daten fehlt.

Obwohl all diese Unsi­cher­hei­ten und Unklar­hei­ten real sind, stö­ren sie mich nicht son­der­lich. Der Grund, warum ich jeden drit­ten Sonn­tag früh auf­stehe, um diese kur­zen Stü­cke zu schrei­ben, ist ein­fach der, dass ich es für ehren­voll halte, diese Zierde zu gestal­ten. Ich betrachte es als eine groß­ar­tige Gele­gen­heit, einen Bei­trag zur Gemein­schaft zu leis­ten und infor­mell einige Gedan­ken und Erfah­run­gen zu tei­len. Und da eine Zierde nicht unbe­dingt im her­kömm­li­chen Sinne „funk­tio­nie­ren“ muss, son­dern Raum für Expe­ri­men­tel­les, Per­sön­li­ches und gele­gent­lich auch Lus­ti­ges las­sen soll, bin ich auch damit zufrie­den, ihre Wir­kung unge­mes­sen zu lassen.

Ich gebe zu: Ange­sichts der anhal­ten­den und pro­ble­ma­ti­schen Ten­den­zen, Forscher*innen auf allen Ebe­nen durch das Zäh­len von Publi­ka­tio­nen, Zita­ten, inter­na­tio­na­len Kon­tak­ten, öffent­li­cher Wir­kung, Kon­fe­renz­teil­nah­men oder ein­ge­wor­be­nen För­der­gel­dern zu incen­ti­vie­ren, um den Wett­be­werb auf dem aka­de­mi­schen Arbeits­markt voll­stän­dig zu quan­ti­fi­zie­ren, ist es eigent­lich eine ziem­li­che Erleich­te­rung, öffent­lich aus­zu­buch­sta­bie­ren, eine gewisse Wir­kung unge­mes­sen zu lassen. ;-)

Für mich erge­ben sich aus all dem zwei Implikationen:

1.

Zum einen ist Unsi­cher­heit über­all, im Klei­nen und im Gro­ßen, im Rele­van­ten und im Irrele­van­ten und prägt unsere Ver­hal­tens­mus­ter min­des­tens so sehr, wie es Anreize tun sollten.

2.

Zum ande­ren könnte mein Geständ­nis, von vorn­her­ein voll­stän­dig von den Wir­kun­gen die­ses Edi­to­ri­als zu abs­tra­hie­ren, auch als Erin­ne­rung daran die­nen, dass es auch eine gute wis­sen­schaft­li­che Pra­xis ist, sei­nen intrin­si­schen Moti­va­tio­nen und Inter­es­sen zu fol­gen: Zumin­dest mei­ner beschei­de­nen Ansicht nach sind reine Neu­gier, krea­tive Erkun­dung und kri­ti­sche Bewer­tun­gen die wah­ren Grund­la­gen der Wis­sen­schaft, wäh­rend die Anzahl der Zitate auf Goo­g­le­Scho­lar nur ein net­tes Add-on ist.

Vie­len Dank fürs Lesen und alles Gute! ;-)

Jakob
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