Der Redak­ti­ons­aus­schuss des Jour­nal of Eco­no­mic Sur­veys tritt zurück – Ver­lags­druck auf Publi­ka­ti­ons­zah­len bedroht wis­sen­schaft­li­che Integrität.

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In den letz­ten Wochen habe ich die trau­rige Nach­richt erhal­ten, dass der gesamte Redak­ti­ons­aus­schuss des Jour­nal of Eco­no­mic Sur­veys von sei­nen Ämtern zurück­ge­tre­ten ist. Das ist trau­rig, denn das Jour­nal of Eco­no­mic Sur­veys hat nicht nur durch die Ver­öf­fent­li­chung hoch­in­ter­es­san­ter Über­sichts­ar­bei­ten und Meta-Ana­ly­sen dem Berufs­stand einen gro­ßen Dienst erwie­sen, son­dern war auch eine eta­blierte Zeit­schrift, die offen für Ein­rei­chun­gen mit einem hete­ro­do­xen Hin­ter­grund war.

Hete­ro­dox Eco­no­mics Newsletter

Der Hete­ro­dox Eco­no­mics News­let­ter wird her­aus­ge­ge­ben von Jakob Kapel­ler und erscheint im drei­wö­chent­li­chen Rhyth­mus mit Neu­ig­kei­ten aus der wis­sen­schaft­li­chen Com­mu­nity mul­ti­pa­ra­dig­ma­ti­scher öko­no­mi­scher Ansätze. Der News­let­ter rich­tet sich an einen Kreis von mehr als 7.000 Empfänger*innen und zählt schon weit mehr als 250 Ausgaben.

Doch die Ent­wick­lung, die zu die­ser Ent­schei­dung geführt hat, ist eigent­lich noch trau­ri­ger. Wie mir berich­tet wurde, sind die bis­he­ri­gen Her­aus­ge­ber vom Ver­lag ent­frem­det wor­den, weil die­ser eine mas­sive Stei­ge­rung der Publi­ka­ti­ons­zah­len for­dert. Die Ver­öf­fent­li­chung mög­lichst vie­ler Arti­kel ist ein lang­jäh­ri­ger Trend (seit min­des­tens zwei Jahr­zehn­ten) im räu­be­ri­schen Ver­lags­we­sen, bei dem Autoren hohe Gebüh­ren für die Annahme ihrer Arti­kel zah­len müs­sen. Es ist ganz offen­sicht­lich, dass ein sol­ches Geschäfts­mo­dell von einem höhe­ren Umsatz pro­fi­tiert, und gleich­zei­tig ist es scho­ckie­rend zu sehen, dass ein eta­blier­ter Ver­lag wie Wiley sich in eine sol­che Rich­tung bewegt.

Da die For­de­rung nach einer Erhö­hung der Bear­bei­tungs­zeit in vie­len Fäl­len mit einer Ver­rin­ge­rung der Qua­li­tät der ver­öf­fent­lich­ten Arbei­ten ein­her­geht, stel­len sol­che For­de­run­gen eine imma­nente Bedro­hung für die Inte­gri­tät der ent­spre­chen­den Zeit­schrif­ten dar, was ein über­zeu­gen­des Bei­spiel dafür ist, wie der Wett­lauf um immer höhere Gewinne die eigent­li­che Qua­li­tät der zugrunde lie­gen­den Pro­dukte unter­gra­ben kann. Dar­über hin­aus – und das ist noch alar­mie­ren­der – kön­nen sol­che Beden­ken nicht ein­mal durch den Rück­tritt eta­blier­ter Redak­teure aus­ge­räumt wer­den, da die Eigen­tums­rechte an der Zeit­schrift selbst – und ihrer Ver­öf­fent­li­chungs­his­to­rie – in vie­len Fäl­len beim Ver­lag lie­gen, der sich in der Regel das Recht vor­be­hält, neue Redak­teure für die jewei­li­gen Aus­ga­ben zu ernen­nen. Wie so oft sind die Eigen­tums­rechte und die damit ver­bun­de­nen Fra­gen der Macht und Kon­trolle letzt­end­lich entscheidend.

Wich­tig ist auch die Fest­stel­lung, dass Anfra­gen wie die des Jour­nal of Eco­no­mic Sur­veys keine Ein­zel­fälle sind, son­dern ganz sys­te­ma­tisch gestellt wer­den. Selbst hoch ange­se­hene Zeit­schrif­ten im Port­fo­lio von Wiley – wie das Jour­nal of Poli­ti­cal Phi­lo­so­phy oder Phi­lo­so­phy & Public Affairs – waren von ähn­li­chen For­de­run­gen betrof­fen, die im Falle des Jour­nal of Poli­ti­cal Phi­lo­so­phy auch zum Rück­tritt zahl­rei­cher Redak­teure und Redak­ti­ons­mit­glie­der führ­ten (siehe hier und hier). In die­sem Sinne ist zu ver­mu­ten, dass auch andere für die hete­ro­doxe For­schung rele­vante Zeit­schrif­ten im Port­fo­lio von Wiley – wie Met­roe­co­no­mica oder Review of Income and Wealth - poten­zi­ell bedroht sind.

Obwohl ich keine schnelle Lösung für diese besorg­nis­er­re­gen­den Ent­wick­lun­gen sehe, scheint mir der Schritt der ursprüng­li­chen Her­aus­ge­ber des Jour­nal of Poli­ti­cal Phi­lo­so­phy, eine Wie­der­ge­burt in einem gemein­nüt­zi­gen Umfeld zu schaf­fen (siehe hier für einige Details), legi­tim. In der Tat würde ich dazu nei­gen, jenen empi­ri­schen Ein­schät­zun­gen zuzu­stim­men, die Non-Pro­fit-Ver­la­gen ein bes­se­res Preis-Leis­tungs-Ver­hält­nis beschei­ni­gen als kom­mer­zi­el­len Ver­la­gen (z. B. hier). Die ideale Orga­ni­sa­ti­ons­form für das wis­sen­schaft­li­che Publi­zie­ren wären wahr­schein­lich große Koope­ra­ti­ven, die wirt­schaft­li­che Grö­ßen­vor­teile bei Pro­duk­tion und Ver­trieb mit der Sen­si­bi­li­tät für die beson­de­ren Anfor­de­run­gen des wis­sen­schaft­li­chen Dis­kur­ses ver­bin­den. Eine sol­che Kom­bi­na­tion würde es auch ermög­li­chen, die enor­men impli­zi­ten Sub­ven­tio­nen, die das Ver­lags­we­sen erhält, bes­ser zu recht­fer­ti­gen (siehe hier).

Ich wün­sche Ihnen alles Gute,

Jakob
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PS: Iro­ni­scher­weise ver­folgt sogar die angeb­lich markt­freund­li­che AEA ein ähn­li­ches Modell…

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