Über vier Arbeiten, die sich bedürfnisorientierten Ansätzen in der Armutsforschung, der Erforschung des Wirtschaftens innerhalb ökologischer Grenzen und der Frage nach der besten Organisierung des Care Sektors widmen.
Der Heterodox Economics Newsletter berichtet regelmäßig über die Inhaltsverzeichnisse verschiedener Zeitschriften, die heterodoxen Ideen offen gegenüberstehen. Wenn Sie ein oder zwei Stunden Zeit verlieren wollen, lade ich Sie ein, den entsprechenden Abschnitt des Newsletters aufmerksam zu durchstöbern – zumindest verliere ich immer so viel Zeit, wenn ich diesen Abschnitt bearbeite ;-). Mein persönlicher Favorit in dieser Ausgabe ist übrigens der Sonderteil über „Evolutionary Perspectives on Economic Policy“ in der aktuellen Ausgabe des Journal of Evolutionary Economics.
Heterodox Economics Newsletter
Der Heterodox Economics Newsletter wird herausgegeben von Jakob Kapeller und erscheint im dreiwöchentlichen Rhythmus mit Neuigkeiten aus der wissenschaftlichen Community multiparadigmatischer ökonomischer Ansätze. Der Newsletter richtet sich an einen Kreis von mehr als 7.000 Empfänger*innen und zählt schon weit mehr als 250 Ausgaben.
Nichtsdestotrotz erscheinen viele faszinierende Beiträge außerhalb des engen Spektrums, das wir abdecken können, und es erscheinen auch einige coole Beiträge an ungewöhnlichen Orten. Hier möchte ich vier solcher Arbeiten vorstellen, die ich kürzlich entdeckt habe. Zwei davon stammen von Robert C. Allen und befassen sich mit einem „bedürfnisorientierten“ Ansatz zur Bewertung von Armut, der meiner Meinung nach aus drei Gründen interessant ist: Erstens zielt er darauf ab, die klassische Unterscheidung zwischen „Bedürfnissen und Wünschen“ auf pragmatische Weise zu operationalisieren. Zweitens ist es ein Ansatz, der einen leichteren Vergleich von Gesellschaften über Zeit und Raum hinweg ermöglicht, da er mit klar identifizierbaren materiellen Kategorien arbeitet. Und schließlich stützt er sich auf bereits vorhandene Daten. In seinen beiden Beiträgen geht Allen auf die Frage der weltweiten Armut und der damit verbundenen berüchtigten „absoluten Armutsgrenze“ von 1,90$ sowie auf die Frage der historischen Armutsquoten ein, aus denen hervorgeht, dass (a) die historischen Armutsquoten seit dem 18. Jahrhundert oft erstaunlich niedrig waren (teilweise unter 10 %) und (b) die hohe absolute Armut in vielen Entwicklungsländern als koloniales Erbe betrachtet werden sollte (siehe auch diese übersichtliche Zusammenfassung von Allens zweiter Arbeit).
Eine weitere anregende Arbeit, die sich auf einen bedürfnisorientierten Ansatz bezieht, ist in Nature Sustainability zu finden (die in der Tat ziemlich viel heterodoxen Inhalt hat); sie stellt wahrscheinlich die aktuellste Bewertung dar, wie Länder in einem Doughnut-ähnlichen Rahmenwerk abschneiden. In der Regel kommt diese Literatur zu niederschmetternden Ergebnissen, da kein Land in der Lage ist, „innerhalb der Grenzen gut zurechtzukommen“, was das irgendwie Offensichtliche verdeutlicht, nämlich, dass wir die Art und Weise, wie wir unsere Versorgungsprozesse organisieren, in großem Umfang ändern müssen.
Dies bringt mich zu der letzten Arbeit, die in The Lancet – Health Longevity veröffentlicht wurde (schick, nicht wahr ;-)), die diese Frage – wie wir unsere Versorgungssysteme am besten organisieren – anhand des Pflegesektors erläutert. Darin wird argumentiert, dass marktbasierte Versorgungssysteme systematisch schlechter abschneiden als alternative Organisationsformen, was sich sehr gut mit meiner Intuition deckt, dass nicht alle Güter und Dienstleistungen gleich sind, sondern in der Tat recht heterogen und oft an sehr subtile Qualitäten und Merkmale gebunden sind. Und in der Tat könnte eine genauere Betrachtung der Frage, welche Güter und Dienstleistungen durch welche Art von Versorgungssystem bereitgestellt werden sollten, wiederum mit einem bedürfnisorientierten Ansatz verknüpft werden, um die oben erwähnten Heterogenitäten und Feinheiten empirisch besser in den Griff zu bekommen. Ein solches Umdenken könnte jene „Veränderung der Denkgewohnheiten“ bewirken, die nach Meinung mancher Weiser „alle wirtschaftlichen Veränderungen“ stets begleiten.*
Ich wünsche Ihnen alles Gute,
* Dies ist ein Veblen-Zitat, siehe hier.
PS: Kürzlich habe ich auch einen Artikel abseits der ausgetretenen (heterodoxen) Pfade veröffentlicht. Sie können es hier nachlesen, falls Sie sich für die Schätzung von Vermögensverteilungen interessieren. Aber Vorsicht: es ist nur noch für ein paar Tage herunterladbar…
PPS: Ein interessantes Buch, das den aktuellen Krieg in der Ukraine in einen wirtschaftlichen Kontext stellt, ist ebenfalls im Newsletter aufgeführt (siehe hier).