Unternehmen stehen vor großen Herausforderungen: Inflation, geopolitische Unsicherheiten, Klimaschutz. Derweil kaufen US-Konzerne eigene Aktien in Rekordhöhe zurück, und auch deutsche Unternehmen finden Gefallen. Es gibt aber gute Gründe, diese Geschäftspraxis zu kritisieren.
wischen Oktober 2021 und September 2022 haben die 500 Konzerne, die im US-amerikanischen Aktienindex S&P gelistet sind, Aktien im Wert von 982 Milliarden US-Dollar zurückgekauft. Damit haben die größten US-Unternehmen ihren Vorjahresrekord um noch einmal rund 100 Milliarden US-Dollar überboten. Bereits seit 2010 schütten Unternehmen in den Vereinigten Staaten mehr Finanzmittel über Aktienrückkäufe als über Dividenden an ihre Aktionär:innen aus (Kahle und Stulz, 2021).
Der Trend zu Aktienrückkäufen wird von den Tech-Konzernen aus dem Silicon Valley angeführt. Apple steht mit über 88,4 Milliarden US-Dollar Rückkaufwert an der Spitze, gefolgt von Alphabet (59,3 Milliarden), Meta (31,6 Milliarden) sowie Microsoft (28,6 Milliarden). Mit Ausnahme von Apple haben genau diese Konzerne kürzlich einen umfänglichen Stellenabbau angekündigt. So plant Alphabet, 12.000 Kündigungen auszusprechen, bei Meta sind 11.000 Stellen betroffen und bei Microsoft werden voraussichtlich 10.000 Angestellte ihre Beschäftigung verlieren.
In Deutschland sind Aktienrückkäufe weniger verbreitet. Während DAX- und MDAX-Unternehmen im Jahr 2008 noch Aktien im Wert von 16,8 Milliarden Euro zurückkauften, sank das Rückkaufvolumen zwischen 2009 und 2012 auf durchschnittlich 1,3 Milliarden jährlich. Doch seither ist erneut ein steigender Trend zu beobachten und im Jahr 2022 erreichte das Rückkaufvolumen mit schätzungsweise 17,7 Milliarden Euro seinen höchsten Wert. Zwar wurden einige Rückkaufprogramme im Jahr 2020 pandemiebedingt ausgesetzt, jedoch nahmen auch Unternehmen, die kurz zuvor Corona-Hilfen und Kurzarbeitergeld in Anspruch genommen hatten, ihre Rückkäufe im Folgejahr wieder auf.
Die Autorin
Carmen Giovanazzi ist Doktorandin im Promotionskolleg „Politische Ökonomie der Ungleichheit“. Sie forscht zum deutschen Unternehmenssektor.
Das hat in mehrfacher Hinsicht zu Kritik an den Rückkaufprogrammen geführt. Denn Aktienrückkäufe binden Finanzmittel, die den Unternehmen nicht mehr für andere Tätigkeiten zur Verfügung stehen und beeinflussen außerdem die Aktienkurse.
Warum kaufen Unternehmen ihre Aktien zurück?
Es gibt einige Gründe für Kapitalgesellschaften, Aktien zurückzukaufen (Bösch und Ude, 2014, Seifert, 2006): Eigenanteile können als Schutz vor einer feindlichen Übernahme oder im Fall einer Fusion als Akquisitionswährung dienen. Sie können vorgehalten werden, um Führungskräfte mit Aktien und Optionen zu vergüten oder Mitarbeiter:innen zu beteiligen. Weitere Ziele können die Anpassung der Kapitalstruktur oder die Verkleinerung des Aktionär:innenkreises sein.
Zwei Funktionen sind allerdings besonders relevant: Erstens dienen Aktienrückkäufe als Ausschüttungsinstrument. Während Unternehmen beim Börsengang oder bei einer Zweitplatzierung Aktien am Kapitalmarkt anbieten und damit Finanzmittel in die Firmenkassen spülen, verhält es sich beim Aktienrückkauf genau umgekehrt: Bereits ausgegebene Aktien werden mit eigenen Finanzmitteln zurückerworben. Das Unternehmen generiert also einen Zahlungsstrom zum Kapitalmarkt, während Investor:innen, die Anteile verkaufen, Kapitalgewinne erzielen.
Die zurückgekauften Titel werden entweder als eigene Anteile (treasury shares) in den Büchern geführt, wobei das Stimm- und Dividendenrecht entfällt, oder sie werden gänzlich eingezogen. In der Regel handelt es sich um eine Bilanzverkürzung: Auf der Aktivseite reduziert der Aufwand die Liquidität (etwa Barmittel) um den Preis des Rückkaufs, während auf der Passivseite das Eigenkapital um den entsprechenden Wert sinkt.
Zweitens treiben Aktienrückkäufe die Kurse. Während sie über Auktionsverfahren, öffentliche Rückkaufgebote oder privat ausgehandelte Verträge zwischen Unternehmen und Aktionär:innen erfolgen können, finden sie zumeist über die Börse statt (Seifert, 2006). Aktienrückkäufe verknappen das Angebot der ausstehenden Aktien, wodurch sich der Gewinn auf eine geringere Anzahl von Anteilen verteilt und damit der Gewinn pro Aktie (earnings per share) steigt. Zugleich signalisiert ein Unternehmen mit einem Aktienrückkauf die Korrektur einer Unterbewertung, was das Vertrauen der Anleger:innen stärkt und die Kurse potenziell zusätzlich steigen lässt.
Sind Aktienrückkäufe nur Bilanzkosmetik – oder sogar Marktmanipulation?
Mit Blick auf Kursentwicklungen herrschte lange Unklarheit, in welchem Ausmaß die Kurse auf Aktienrückkäufe reagieren. Forscher:innen gingen gemeinhin davon aus, „dass sich Aktienrückkaufprogramme tendenziell positiv auf den Aktienkurs auswirken“. Zumeist wurde von einer kurzfristigen Wirkung ausgegangen, die sich unmittelbar nach Ankündigung eines Rückkaufprogramms einstellt. Nun zeigt eine neue Auswertung, dass Kurse auch langfristig getrieben werden und Aktienrückkäufe in den letzten zehn Jahren „in den USA und Europa für rund ein Viertel der Kursgewinne verantwortlich“ waren.
Serie Ungleichheit und Macht
Die wachsende gesellschaftliche Ungleichheit ist eines der bedeutendsten Probleme unserer Zeit. Zugleich steigt das wissenschaftliche Interesse und liefert neue Erkenntnisse mit Blick auf die drängendsten Fragen und Antworten zu verschiedenen Dimensionen der Ungleichheit und ihren zugrundeliegenden Machstrukturen.
Für die Debattenreihe „Ungleichheit und Macht“ haben Doktorand:innen aus dem Promotionskolleg „Politische Ökonomie der Ungleichheit“ am Institut für Sozioökonomie der Universität Duisburg-Essen diese neuen Erkenntnisse aufgeschrieben. In den Beiträgen stellen die Promovierenden, die von der Hans-Böckler-Stiftung gefördert werden, Teilergebnisse ihrer Forschung vor und diskutieren verbundene gesellschaftliche Herausforderungen sowie politische Handlungsoptionen. Mit dem Fokus auf Ungleichheitsdimensionen und zugrunde liegenden Machtverhältnissen reicht der thematische Bogen von Armut und Besteuerung bis zu Arbeitsmarkt‑, Gleichstellungs- oder Klimapolitik. Durch die thematischen Breite und Vielfalt der eingesetzten Methoden stoßen die Autor:innen eine weiterführende gesellschaftliche Debatte darüber an, wie der steigenden Ungleichheit begegnet werden kann.
Die Reihe erscheint in regelmäßigen Abständen zwischen April und Juni 2023 im Makronom. Hier im ifsoblog dokumentieren wir die Serie anschließend ebenfalls.
Dabei ist erwähnenswert, dass Aktienrückkäufe in den USA aufgrund ihrer kurstreibenden Wirkung lange verboten waren: Sie galten als Marktmanipulation, welche durch den Securities Exchange Act von 1934 infolge der Großen Depression unter Strafe stand. Die Regierung Reagan erlaubte Aktienrückkäufe im Jahr 1982 mit der SEC Rule 10b-18. In Deutschland durften eigene Aktien zwischen 1931 und 1998 nur unter starken Restriktionen zurückgekauft werden (Seifert, 2006). Mit dem 1998 eingeführten Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich wurden Aktienrückkäufe mit einer Ergänzung im Aktiengesetz (§71, Abs. 1 (8)) dann erheblich vereinfacht.
Unter diesen Gesichtspunkten scheint es angemessen, Aktienrückkäufe als Bilanzkosmetik zu bezeichnen – und obschon sie juristisch keine Marktmanipulation mehr darstellen, ist ihr Einfluss auf die Kursbildung mitunter erheblich.
Was tun mit Überschussliquidität?
Das Motiv der Ausschüttung von überschüssiger Liquidität verortet sich in der Shareholder-Value-Theorie, die insbesondere den angelsächsischen Raum prägt. Demnach sollte sich ein Unternehmen strategisch derart ausrichten, dass der Marktwert des Eigenkapitals (shareholder value) maximiert wird (Rappaport, 1999). Verfügt ein Unternehmen über Liquidität, kann aber keine rentablen Investitionsprojekte – solche mit positivem Netto-Kapitalwert (net present value) – ausmachen, sollten Überschüsse an Anteilseigner:innen ausgeschüttet werden. Das könnte auch über eine Erhöhung der Dividende erfolgen. Dabei gilt jedoch Kontinuität als oberstes Gebot, weil eine Absenkung der Dividende in der Folgeperiode mit niedrigeren Kursen quittiert wird (Lintner, 1962). Über Aktienrückkäufe können dahingegen befristete Ausschüttungen vorgenommen werden, die sich außerdem positiv auf die Kurse auswirken. Sie ermöglichen dem Management damit Freiheitsgrade in der Finanzplanung.
Das Gegenstück zur Shareholder-Value-Orientierung ist das Stakeholder-Modell, das insbesondere in koordinierten Marktwirtschaften wie Deutschland vorherrscht (Hall and Soskice, 2001). Demnach navigiert und vermittelt ein Unternehmen zwischen den Ansprüchen verschiedener Interessengruppen (stakeholder). Darunter sind etwa Arbeitnehmer:innen, die Lohnerhöhungen und Beschäftigungssicherung fordern, der Staat, der Standorte erhalten möchte und beispielsweise Nachhaltigkeitsstandards setzt, sowie Gläubiger:innen, die eine vertragsgemäße Erfüllung ihrer Forderungen erwarten. Aus Stakeholder-Perspektive kann Überschussliquidität einer Reihe von Zwecken zugeführt werden: Schulden können gerade in Zeiten anziehender Zinsen getilgt, Beschäftigung und Standorte in politisch unwägbaren Zeiten gesichert, sowie Nachhaltigkeitsziele in Anbetracht der Klimakrise stärker verfolgt werden.
Selbst wenn man von diesen Ansprüchen absieht, ist es schwer vorstellbar, dass angesichts massiver, globaler Herausforderungen keine rentablen Investitionsprojekte identifiziert werden können: Die Nachwehen der Coronakrise erfordern weiterhin Anpassungen in den Lieferketten. Der Klimakrise muss unternehmerisch durch energisches Umdenken in der Produktionslogik sowie durch Innovation, Forschung und Entwicklung begegnet werden. Und geopolitische Spannungen infolge der Ukraine-Invasion durch Russland ergänzen das Nachhaltigkeitsziel, von fossilen Energieträgern unabhängig zu werden, um ein weiteres politisches Motiv.
Fazit
Zusammenfassend stellen Aktienrückkäufe eine kapitalmarktorientierte Geschäftspraxis dar, die die Kurse treibt, Investor:innen gegenüber anderen Interessengruppen bevorzugt und damit insbesondere in den USA der ausgeprägten Shareholder-Value-Orientierung Ausdruck verleiht. Angesichts der exzessiven Ausschüttungen, die dort in den vergangenen Jahren zu beobachten waren, wurde unlängst ein neuerliches Verbot von Aktienrückkäufen diskutiert. Das scheint politisch nicht realisierbar, allerdings belegt das Inflationsbekämpfungsgesetz (Inflation Reduction Act) Aktienrückkäufe seit dem 1. Januar 2023 mit einer Steuer von einem Prozent. Indes forderte US-Präsident Joe Biden jüngst eine Erhöhung der Steuer auf vier Prozent, für deren Umsetzung die notwendige Mehrheit im Kongress derzeit allerdings nicht abzusehen ist.
Abschließend lässt sich festhalten, dass Aktienrückkäufe für ein einzelnes Unternehmen bei Vorliegen eines einmalig erhöhten Cashflows ein legitimes Ausschüttungsinstrument sein können, das der Geschäftsführung Flexibilität in der Finanzplanung bietet. Jedoch scheint es angesichts der globalen Herausforderungen mehr als geboten, überschüssige Finanzmittel verantwortungsvoll und gesellschaftlich gewinnbringend einzusetzen. Ob Ausgaben für Forschung und Entwicklung klimaneutraler Technologie, Investitionen in nachhaltiges Sachkapital oder Sicherung von Standort und Beschäftigung – ein kreatives, auf langfristige Wertschöpfung ausgelegtes Unternehmen sollte auch dahingehend über genügend Freiheitsgrade verfügen. Das ist im Übrigen laut Management-Befragungen einer der Gründe, die gegen Aktienrückkäufe sprechen: dass dadurch mangelnder Unternehmergeist signalisiert werden könnte.
Dieser Beitrag wurde zunächst auf makronom.de veröffentlicht.
Die Politische Ökonomie der Ungleichheit
Das Promotionskolleg „Die Politische Ökonomie der Ungleichheit“ untersucht Ausmaß, Ursachen und Folgen steigender sozioökonomischer Ungleichheit. Materielle Unterschiede stehen dabei im Mittelpunkt, werden aber stets in Zusammenhang zu politischen, sozialen und ökologischen Aspekten gesetzt. Die Forschungspraxis ist von einem interdisziplinären und anwendungsorientierten sozioökonomischen Ansatz geprägt. Zur Übersicht aller Blogbeiträge der Mitglieder aus dem Promotionskolleg
Kurz zusammengefasst
Vor allem in den USA gibt es einen Trend zu Aktienrückkäufen, angeführt von den Tech-Konzernen – die zugleich umfänglichen Stellenabbau betreiben. Auch in Deutschland gibt es einen steigenden Trend, mit Rückkäufen im Volumen von knapp 18 Mrd. Euro allein im Jahr 2022, auch durch Unternehmen, die kurz zuvor noch Corona-Hilfen und Kurzarbeitergeld in Anspruch genommen hatten. Aktienrückäufe können verschiedene Funktionen erfüllen. Von besonderer Bedeutung sind Aktienrückkäufe als Ausschüttungsinstrument und als Kurstreiber. Angesichts massiver, globaler Herausforderungen könnte die Überschussliquidität von Unternehmen statt für Aktienrückkäufe für rentable Investitionsprojekte etwa zur Bewältigung der Klimakrise verwendet werden. Auch aus einer Stakeholder-Perspektive wären alternative Verwendungen angezeigt.