Über die Irrtümer des ökonomischen Nobelpreiskomitees und die Weisheit eines überraschenden Rezensenten eines kritischen Lehrbuchs.
In diesen Tagen wurden die Preisträger des Nobelpreises* für Wirtschaftswissenschaften bekannt gegeben. Er ging an Bernanke, Diamond und Dybvig, also an drei männliche Wirtschaftswissenschaftler aus den USA, was, sagen wir mal, dem Muster früherer Entscheidungen desselben Ausschusses entspricht. Während Bernanke aufgrund seiner Rolle als FED-Vorsitzender recht bekannt ist, sind Diamond und Dybvig wahrscheinlich eher bekannt für ihr Paper von 1983 über Bank-Runs. Das Paper ist etwas steril, da sein Ansatz mit zwei Gleichgewichtsergebnissen (ein „stabiles“ Ergebnis und ein „Bank-Run“-Ergebnis) sehr stark auf Ad-hoc-Annahmen beruht und auf einen bloßen Existenzbeweis hinausläuft. Ich habe immer wieder festgestellt, dass dieses Paper nach der Finanzkrise sehr geschätzt wurde – ich hatte damals viele Mainstream-Kollegen, die mich auf dieses Paper verwiesen und meinten, die Mainstream-Wirtschaftswissenschaften hätten das alles im Griff. Das war schade, denn das Paper konzentriert sich sehr stark auf die Rolle von Einlagen und spielt damit implizit die Auswirkungen von Risikobereitschaft und Kreditexpansion herunter, weshalb die Analyse etwas am Punkt vorbei lag. Damals betonte ich alternative Standpunkte, wie die von Kindleberger oder Minsky, was zu den gleichen „paradigmatischen“ Kontroversen führte, wie sie heute wieder aufzutauchen scheinen (siehe hier, hier oder hier für einen Schwerpunkt auf Bernanke).
Heterodox Economics Newsletter
Der Heterodox Economics Newsletter wird herausgegeben von Jakob Kapeller und erscheint im dreiwöchentlichen Rhythmus mit Neuigkeiten aus der wissenschaftlichen Community multiparadigmatischer ökonomischer Ansätze. Der Newsletter richtet sich an einen Kreis von mehr als 7.000 Empfänger*innen und zählt schon weit mehr als 250 Ausgaben.
In einer etwas tragischen Panne wiederholt sogar die Pressemitteilung des Komitees diesen Irrtum, indem sie behauptet, dass „die Ersparnisse in Investitionen fließen müssen, damit die Wirtschaft funktioniert“, wobei sie ignoriert, dass die aktuellen Investitionen in der Regel durch Kredite oder frühere Ersparnisse finanziert werden, sodass für einen bestimmten Zeitraum die umgekehrte Kausalität gilt. Man könnte sagen, dass dieser Fehler schockierend oder enttäuschend ist, aber Ihnen sollte bekannt sein, dass die Wirtschaftswissenschaften als „trostlose Wissenschaft“ bezeichnet wird. In Wirklichkeit könnte die Ökonomie natürlich eine Wissenschaft der Hoffnung sein, aber Entscheidungen wie diese und die intellektuellen Wege, die solchen Entscheidungen zugrunde liegen, sind meiner Meinung nach hauptverantwortlich dafür, dass das Etikett ‚trostlos’ einigermaßen zutreffend ist ;-)
Fairerweise muss man sagen, dass das Paper von Diamond und Dybvig auch einen konstruktiven Aspekt hat, da es einige sinnvolle makroprudenzielle Maßnahmen auf der Einlagenseite motiviert, wie z.B. die Einlagensicherung oder die Bereitstellung von Zentralbankreserven. Dennoch ist die paradigmatische Schließung in den Wirtschaftswissenschaften allzu weit verbreitet, sie erschwert unsere Bemühungen und steht dem Fortschritt im Wege. Und da es sich hier hauptsächlich um eine Frage der Einstellung handelt, ist es erwähnenswert, dass andere Einstellungen durchaus möglich sind, und wir können sie sogar gelegentlich innerhalb des Mainstreams beobachten. Ein schönes Beispiel dafür ist das in dieser Ausgabe des Newsletters vorgestellte Buch „Anti-Blanchard Economics“ von Emiliano Brancaccio, das von Olivier Blanchard selbst mit einer freundlichen Empfehlung versehen wurde:
Als Emiliano mich bat, das Buch Anti-Blanchard Macroeconomics zu empfehlen, war ich etwas erstaunt. Sie können sich denken, warum. Aber ich stimme mit ihm überein, dass wir unsere Annahmen immer hinterfragen, sie mit den Fakten konfrontieren und offen für Veränderungen sein sollten, wenn die Fakten dies erfordern. […] Vorläufig bleibe ich bei den Schlussfolgerungen meines Lehrbuchs, aber ich freue mich und bin sogar begierig darauf, sie in Frage gestellt zu sehen.
Man kann immer noch mit einigen der Schlussfolgerungen in Blanchards vielgelesenem Lehrbuch nicht einverstanden sein, aber ich gebe zu: Mir gefällt seine Einstellung!
Ich wünsche Ihnen alles Gute,
* Wie die meisten Leser*innen wissen handelt, es sich nicht um einen „echten“ Nobelpreis, sondern um den Alfred-Nobel-Gedächtnispreis für Wirtschaftswissenschaften der Schwedischen Reichsbank.