Über den Bedarf nach mehr Politikrelevanz, Multisdisziplinarität und Disruption in den Wirtschaftswissenschaften und wie das Orientieren an pädagogischer Literatur dem näher kommen kann.
In der Vergangenheit wurde auf diesen Seiten häufig erörtert, wie die disziplinäre Hierarchie und die Anreizstruktur der heutigen Wirtschaftswissenschaften zu einer Verengung der Disziplin beitragen. Sie tun dies, indem sie alternative Ansichten ausschließen und gesellschaftliche Diskriminierungsmuster reproduzieren, was wiederum die Reproduktion der neoklassischen Dominanz fördert. Und in der Tat: Während beispielsweise Kohortenanalysen darauf hindeuten, dass diese Reproduktion des dominanten Ansatzes nominell erfolgreich ist (siehe z. B. hier für den Fall Deutschland), haben wir nur wenige Daten darüber (gehabt), wie Mainstream-Ökonom*innen selbst diesen Trend bewerten. Stattdessen verlassen wir uns typischerweise auf indirekte Rückschlüsse, z. B. durch Verweis auf Veränderungen in der durchschnittlichen Ökonom*innen-Meinung, wie in meinem letzten Editorial vorgeschlagen, um zu einigen qualifizierten Vermutungen zu gelangen.
Heterodox Economics Newsletter
Der Heterodox Economics Newsletter wird herausgegeben von Jakob Kapeller und erscheint im dreiwöchentlichen Rhythmus mit Neuigkeiten aus der wissenschaftlichen Community multiparadigmatischer ökonomischer Ansätze. Der Newsletter richtet sich an einen Kreis von mehr als 7.000 Empfänger*innen und zählt schon weit mehr als 250 Ausgaben.
Vor diesem Hintergrund freue ich mich, berichten zu können, dass eine neue Arbeit erschienen ist, die diese Lücke teilweise schließt. Die entsprechende Analyse von Peter Andre und Armin Falk basiert auf einer großangelegten Umfrage und belegt, dass der/die durchschnittliche Wirtschaftswissenschaftler*in bis zu einem gewissen Grad die Ansichten der heterodoxen Gemeinschaft teilt, da eine Mehrheit der Wirtschaftswissenschaftler*innen „mit den derzeitigen Forschungsthemen und ‑zielen der Wirtschaftswissenschaften unzufrieden“ ist und „die Befragten der Meinung sind, dass die Wirtschaftsforschung politikrelevanter, multidisziplinärer, risikoreicher und disruptiver werden und vielfältigere Themen verfolgen sollte.“ So weit, so gut, zumindest wissen wir jetzt, dass es eine gemeinsame Intuition in Bezug auf die Auswirkungen der engen konzeptionellen Grenzen der modernen Wirtschaftswissenschaften gibt. Weniger ermutigend ist, dass das Potenzial heterodoxer Ideen zur Steigerung der Multidisziplinarität, der politischen Relevanz oder disruptiver Forschungsstrategien überhaupt nicht diskutiert wird – stattdessen wird diagnostiziert, dass die Wirtschaftswissenschaften ohnehin auf einem ziemlich guten Weg sind, da die derzeitigen Veränderungen in die richtige Richtung gehen. Während diese letzte Betonung teilweise mit der eigenen paradigmatischen Haltung der Autoren erklärt werden könnte, muss man einräumen, dass die Einbeziehung des Konzepts der theoretischen Vielfalt von ihnen eine erhebliche Erweiterung ihrer bereits umfangreichen Arbeit erfordert hätte.
Nichtsdestotrotz könnte ein mögliches Gegenmittel, das geeignet ist, eine „Öffnung“ der Wirtschaftswissenschaften zu fördern, in jenen Büchern zu finden sein, die versuchen, eine pluralistische Sichtweise auf wirtschaftliche Fragen leichter verdaulich zu machen. Ein solches Buch, auf das ich vor einigen Monaten hingewiesen habe, ist „Economy Studies“, das einen pluralistischen Unterricht im Allgemeinen unterstützen will und insbesondere einen Leitfaden für die Öffnung der bisher nur auf den Mainstream ausgerichteten Lehrpläne bietet. Ich hatte inzwischen etwas Zeit, mich näher damit zu befassen, und ich muss sagen, dass das Buch für diesen Zweck wirklich sehr gute Arbeit leistet, und allein das Durchblättern all der guten Vorschläge zu neuerer, eher pädadogischer Literatur ist äußerst hilfreich, wenn man über die eigene Kursgestaltung nachdenkt. Ein weiteres neueres Buch, das in diese Richtung geht, ist „Voices of the Economy“, das in dieser Ausgabe des Newsletters vorgestellt wird und verspricht, „Studierende und Lehrende der Wirtschaftswissenschaften darin zu schulen, wie man sich im theoretischen Pluralismus zurechtfindet und wie man begründete Gespräche und Debatten zwischen denjenigen führt, die unterschiedliche theoretische Perspektiven vertreten“. Im Allgemeinen denke ich, dass Bücher wie diese eine hervorragende Ergänzung und Erweiterung zu den etablierten Ressourcen für die Erforschung heterodoxer Wirtschaftswissenschaften sind, wie „Exploring Economics“, die Website „History of Economic Thought“ oder die „School of Political Economy“.
Abschließend noch einige Neuigkeiten zu Veränderungen im Team des Newsletters: Nach jahrelangem Einsatz tritt Erik Dean als Redakteur für Buchbesprechungen zurück. Daniela Cialfi wird die Besprechungen in Zukunft übernehmen. Vielen Dank an die beiden für die Annahme dieser wichtigen Aufgabe!
Alles Gute und herzliche Grüße,
PS: Falls Sie sich mit anregender Lektüre beschäftigen wollen, kann ich Ihnen Marc Lavoies „Godley-Tobin Memorial Lecture“ empfehlen, die in der aktuellen Ausgabe der „Review of Keynesian Economics“ veröffentlicht wurde. In seiner gewohnt meisterhaften Art erweckt Marc die Theorie zum Leben, indem er historische Anekdoten und scharfe theoretische Argumente miteinander verwebt – sehr empfehlenswert!