Über interparadigmatischen Austausch auf Augenhöhe, Sprachlosigkeit über Teile des wirtschaftswissenschaftlichen Establishments und den Wert respektvoller Diskussion.
Letzte Woche habe ich an einem informellen Workshop über das Wesen von Institutionen und ihre Rolle in der ökonomischen Analyse teilgenommen, der von mehreren mit der Universität Graz assoziierten Forscher*innen veranstaltet wurde. Der Grundgedanke dieses Workshops bestand darin, den Dialog zwischen Mainstream- und heterodoxen Ökonom*innen mit einem bestimmten thematischen Schwerpunkt zu fördern. Für mich war dies eine willkommene Abwechslung zu den üblichen Routinen des interparadigmatischen Austauschs in den Wirtschaftswissenschaften, die typischerweise auf einer interessierten (heterodoxen) und einer desinteressierten Skepsis (Mainstream) gegenüber dem jeweils anderen basieren.
Heterodox Economics Newsletter
Der Heterodox Economics Newsletter wird herausgegeben von Jakob Kapeller und erscheint im dreiwöchentlichen Rhythmus mit Neuigkeiten aus der wissenschaftlichen Community multiparadigmatischer ökonomischer Ansätze. Der Newsletter richtet sich an einen Kreis von mehr als 7.000 Empfänger*innen und zählt schon weit mehr als 250 Ausgaben.
Im Gegensatz dazu war der Geist des Workshops von der Bereitschaft geprägt, Fragen der theoretischen Konvergenz zu erforschen und sich auf gegenseitiges Lernen einzulassen, was wahrscheinlich die fruchtbareren Routinen im interparadigmatischen Austausch sind. Insbesondere fand ich es schön, eine gewisse Konvergenz zu beobachten, zum Beispiel in Bezug auf die Definition von Institutionen als vom Menschen geschaffene „Systeme von […] Regeln, die soziale Interaktionen strukturieren“ (Anm. Übersetzung der Redaktion), wie sie Geoffrey Hodgson in seinem mittlerweile klassischen Beitrag zu diesem Thema vorgeschlagen hat. Ein weiterer gemeinsamer Nenner scheint in der Kritik an groben Vereinfachungen des Themas zu liegen, die sich damit begnügen, die Auswirkungen von Institutionen nur im Hinblick auf ihre Auswirkungen auf die Marktallokation zu konzeptualisieren, d.h. ob sie markträumende Transaktionen verzerren (oder unterstützen). Diese Vereinfachungen – die in der wirtschaftswissenschaftlichen Literatur immer wieder unter Bezeichnungen wie „gute vs. schlechte Institutionen“ oder „institutionelle Qualität“ zu finden sind – tragen anscheinend wenig zu unserem Verständnis sowohl der Institutionen als solchen als auch ihrer wirtschaftlichen Auswirkungen bei. Natürlich blieben einige Unterschiede bestehen, aber ich denke, dass jede*r Teilnehmende etwas von unserem Austausch gewinnen konnte und ein wenig klüger nach Hause ging als zuvor.
Im Gegensatz zu diesen Erfahrungen, die darauf hindeuten, dass der potenzielle Nutzen einer breiteren Interaktion zwischen Mainstream- und heterodoxen Forschern enorm sein könnte, stehen jene Situationen, in denen der harte Obskurantismus, der von einigen Zweigen des wirtschaftswissenschaftlichen Establishments praktiziert wird, einen sprachlos macht. Da Twitter eine erstklassige Quelle für pointierte Äußerungen ist, wird es wahrscheinlich nicht überraschen, dass meine jüngste Erfahrung von Sprachlosigkeit von Twitter herrührt. Dort fand ich einen Stanford-Ökonomen, der behauptete, dass der Klimawandel und die Staatsverschuldung gleichwertige Probleme seien, da es nur um die „getragenen Kosten künftiger Generationen“ (Anm. Übersetzung der Redaktion) gehe.
Ehrlich gesagt, erscheint mir das so abwegig, dass es mich seit Tagen verwirrt. Zum einen ist die Klimasache etwas Existenzielles, während die Verschuldung in erster Linie eine Verteilungsfrage ist. Zum anderen könnten die heutigen Investitionen langfristige Vorteile bringen (d.h. sich in der Zukunft auszahlen, wie etwa durch bessere Bildung oder Infrastruktur und ähnliches), während das Verbrennen von Kohle dies höchstwahrscheinlich nicht tut. Drittens wird übersehen, dass die Einbettung, aus der die jeweiligen Zwänge hervorgehen, unterschiedlich ist: Der Klimawandel bezieht sich auf biophysikalische Zwänge, während die Staatsverschuldung an institutionelle Konfigurationen gebunden ist, die verändert und angepasst werden könnten. Und schließlich verliert die Argumentation völlig den Blick für die relativen Größenordnungen des Problems, da sie nicht erwähnt, dass diese Größenordnungen für die Bewertung der Bedeutung und der Art des Problems wichtig sind. Während die Verschuldung in der Regel der aktuellen Produktion (zum Beispiel dem BIP) gegenübergestellt wird, sollten die aktuellen Emissionen mit dem verbleibenden Kohlenstoffbudget verglichen werden, was uns zeigen würde, dass diese beiden Probleme in der Tat sehr unterschiedlich sind.
Da diese Geschichten die Heterogenität der Mainstream-Ökonomie des 21. Jahrhunderts verdeutlichen, möchte ich eines hinzufügen: Obwohl ich ernsthaft bezweifle, dass dieses Argument jemals zufriedenstellend rationalisiert werden kann, bin ich nicht genug Paradigmen-Krieger, um den Wert einer respektvollen Diskussion zu leugnen. Dies gilt umso mehr für die gegenwärtige Situation in den Wirtschaftswissenschaften, wo Gelegenheiten für eine solche respektvolle interparadigmatische Interaktion äußerst rar sind. In diesem Sinne möchte ich mein letztes Wort sprechen: Wenn es jemals möglich ist, würde ich es wirklich begrüßen, mit besagtem Kollegen ein Bier zu trinken und ihn erklären zu lassen, warum er, entgegen aller Wahrscheinlichkeit, irgendeine Weisheit in seinem Kommentar sieht.
Mit besten Grüßen,